C. Bereitschaftsdienst

I. Begriff Bereitschaftsdienst

Von Bereitschaftsdienst ist die Rede, wenn sich der Arbeitnehmer außerhalb seiner regulären Arbeitszeit für Zwecke des Betriebes an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebes aufzuhalten hat, um bei Bedarf seine volle Arbeitstätigkeit unverzüglich

(§ 121 Abs. 1 BGB) aufnehmen zu können

(vgl. BAG, Urteil vom 25. Oktober 1989 - 2 AZR 633-88; BAG 30. Januar 1996 - 3 AZR 1030/94 - AP TVG § 1 Tarifverträge: DRK Nr. 5 = EzA TVG § 4 Rotes Kreuz Nr. 2; Richardi BetrVG 7. Aufl. § 87 Rn. 337).

 

II. Bereitschaftsdienste in der betrieblichen Praxis

1. Bereitschaftsdienste sind Arbeitszeit

Bereitschaftsdienste, die ein Arzt in dem Krankenhaus leistet, in dem er beschäftigt ist, sind in vollem Umfang als Arbeitszeit anzusehen, unabhängig davon, dass der Arbeitnehmer während dieses Dienstes keine ununterbrochene tatsächliche Tätigkeit ausübt. Die Richtlinie 93/104 steht also einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die Zeiten der Untätigkeit eines Arbeitnehmers während des Bereitschaftsdienstes, den er in der Gesundheitseinrichtung leistet, als Ruhezeit im Sinne dieser Richtlinie behandelt und daher einen Ausgleich nur für die Zeiten vorsieht, während deren der Betroffene tatsächlich eine berufliche Tätigkeit ausgeübt hat (EuGH-Urteil) & Leitsätze des EuGH

 

2. Pflichten des Arbeitnehmers während des Bereitschaftsdienstes

Während des Bereitschaftsdienstes ist der Arbeitnehmer verpflichtet, sich innerhalb oder außerhalb des Betriebes an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich auf Anforderung des Arbeitgebers zur Arbeitsaufnahme bereitzuhalten, darf jedoch ruhen oder sich anderweit beschäftigen, solange seine beruflichen Leistungen nicht erforderlich sind (EuGH-Urteil)

Während des Bereitschaftsdienstes muss der Arbeitnehmer sich nicht im Zustand wacher Aufmerksamkeit befinden, er kann die Zeit beliebig nutzen, muss sich allerdings in seinem Verhalten auf die mögliche Arbeitsaufnahme einstellen

(BAG, Urteil vom 25. Oktober 1989 - 2 AZR 633-88).

3. Mitbestimmung des Betriebsrats

Hinsichtlich der Entscheidung über die Einführung oder Nichteinführung der vom Arbeitgeber beabsichtigten Bereitschaftsdienste steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zu.

(BAG, Beschluss vom 29.2.2000 - 1 ABR 15/99; vgl. auch etwa BAG 30. Januar 1996 - 3 AZR 1030/94 - AP TVG § 1 Tarifverträge: DRK Nr. 5 = EzA TVG § 4 Rotes Kreuz Nr. 2; Richardi BetrVG 7. Aufl. § 87 Rn. 337; DR § 87 Rn. 219; DKKS-Klebe § 87 Rn. 83; GL § 87 Rn. 88a).

Das Mitbestimmungsrecht beschränkt sich nicht nur auf die zeitliche Festlegung der vom Arbeitgeber einseitig vorgegebenen Bereitschaftsdienste gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, sondern vielmehr auch auf die Dauer der (nicht regelmäßigen) Arbeitszeit und damit erstreckt es sich auch auf § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zu.

(BAG, Beschluss vom 29.2.2000 - 1 ABR 15/99).

4. Rechtliche Bewertung der Bereitschaftsdienst

Nach der früheren Rechtsprechung des BAG gehörte der Bereitschaftsdienst als solcher Arbeitszeitrechtlich - ohne die Einsatzzeiten - zur Ruhezeit, also nicht zur Arbeitszeit im Sinn Arbeitszeitgesetzes. Darauf kommt es aber mitbestimmungsrechtlich nicht an

(BAG, Beschluss vom 29.2.2000 - 1 ABR 15/99).

4.1 Zwei Merkmale

Die Zeiten eines Bereitschaftsdienstes weisen zwei verschiedene Merkmale auf.

Einerseits ist der Arbeitnehmer verpflichtet, sich innerhalb des Dienstplans zum Einsatz bereit zu halten. Andererseits versieht er während eines Einsatzes Vollarbeit im arbeitszeitrechtlichen Sinn.

 

4.2 Berührungspunkte und Überschneidung mit der geschuldeten täglichen Arbeitszeit

Während des tatsächlichen Arbeitseinsatzes kommt es damit zu einer Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Diese Verlängerung ist auch - anders als die auf Dauer angelegte Verpflichtung, sich an den Bereitschaftsdienstplan zu halten - vorübergehend. Sie endet mit dem Arbeitseinsatz 

(vgl. für die Rufbereitschaft Senat 21. Dezember 1982 - 1 ABR 14/81 - BAGE 41, 200, 202, zu B II 1 der Gründe).

 

Die während des Einsatzes verrichtete Arbeit ist daher keine besondere Unterform des Bereitschaftsdienstes, sondern Vollarbeit und als solche im Vergleich zur üblichen Arbeitszeit Über- bzw. Mehrarbeit i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Dies ist für die mitbestimmungsrechtliche Einordnung des Bereitschaftsdienstes insgesamt entscheidend.

Zwar ist die Anordnung, sich im Rahmen eines Bereitschaftsdienstes außerhalb der normalen Arbeitszeit zur Aufnahme der Arbeit bereitzuhalten, ein Dauertatbestand. Das steht aber der Annahme eines Mitbestimmungsrechtes nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nicht entgegen. Prägend für die mitbestimmungsrechtliche Einordnung ist die Arbeit während des Dienstes, durch die es zu einer Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit kommt. Im Grunde geht es auch hier um die Frage, wie "Störfälle" außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit gelöst werden sollen, die den Einsatz von Arbeitnehmern erforderlich machen. Die Vereinbarung von Bereitschaftsdienst ist kein Selbstzweck, sondern lediglich ein Mittel sicherzustellen, dass solche Störfälle auch unverzüglich behoben werden können

(für die Rufbereitschaft Senat 21. Dezember 1982 - 1 ABR 14/81 - BAGE 41, 200, 203, zu B II 2 b der Gründe).

Es handelt sich im Kern um eine vorsorgliche Regelung der Leistung von Überstunden, die nach ständiger Senatsrechtsprechung als zulässig angesehen wird

(vgl. zuletzt etwa Senat 17. November 1998 - 1 ABR 12/98 - AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 79 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 59, zu B II 1 b der Gründe).

Bei diesem Verständnis ist auch die Entscheidung, ob überhaupt Bereitschaftsdienst außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit eingeführt wird mitbestimmungspflichtig

(Gast Anmerkung zu BAG BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 9; Schlegel Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei Überstunden nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG S 26, 27).

 

5. Schutzbedürfnis der zum Bereitschaftsdienst Verpflichteten

Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, Bereitschaftsdienst zu leisten, wird er darin beschränkt, seine Freizeit zu gestalten. Er muss seinen Aufenthalt nach den Vorstellungen des Arbeitgebers ausrichten und jederzeit mit einem Einsatz rechnen. Das sich hieraus ergebende Schutzbedürfnis gebietet es, Bereitschaftsdienste mitbestimmungsrechtlich der Vollarbeit gleichzustellen, unabhängig davon, wie sie arbeitszeit- oder vergütungsrechtlich zu bewerten sind

(BAG, Beschluss vom 29.2.2000 - 1 ABR 15/99).

Diese Frage hat das BAG für Rufbereitschaftszeiten im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG entschieden (BAG, Urteil vom 21. Dezember 1982 - 1 ABR 14/81 - BAGE 41, 200, 208 f., zu B III 1 der Gründe).

Danach ist in den Fällen der Rufbereitschaft der Arbeitnehmer in der Wahl seines Aufenthaltsorts weniger eingeschränkt als bei Bereitschaftsdienst. Der zum Bereitschaftsdienst Verpflichtete steht der vollen Arbeitstätigkeit näher, als der zum Rufbereitschaft verpflichteten Arbeitnehmer.

Deshalb unterstellt die Literatur zu Recht auch den Bereitschaftsdienst überwiegend dem Begriff der Arbeitszeit der Nrn. 2 und 3 des § 87 BetrVG

(Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 19. Aufl. § 87 Rn. 96; GK-Wiese BetrVG 6. Aufl. § 87 Rn. 338; Klebe in Däubler/Kittner/Klebe BetrVG 6. Aufl. § 87 Rn. 83; Richardi BetrVG aaO § 87 Rn. 293 und 339; aA Hess/Schlochauer/Glaubitz BetrVG 5. Aufl. § 87 Rn. 167).

 

6. Bereitschaftsdienst als Regelungsgegenstand von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen

Unter Beachtung von Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und durch einen entsprechenden zu gewährleistenden Zeitausgleichs kann die Bereitschaft auch in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden (§ 7 Abs. 2 AZG)

 

Von dem Bereitschaftsdienst ist die Arbeitsbereitschaft, die Rufbereitschaft und das Abrufarbeitsverhältnis  abzugrenzen.

III. Rechtsprechung:

EuGH-Urteil, vom 09.09.2003 & Leitsätze des EuGH

BAG Urteil vom 5.6.2003, 6 AZR 114/02

BAG Urteil vom 16.3.2004, 9 AZR 93/03

BAG, Urteil vom 25. Oktober 1989 - 2 AZR 633/88  (lesen, da grundlegend !)

BAG, Urteil vom 1. März 1995 - 1 AZR 786/94

BAG, Beschluss vom 28. September 1995 - 5 AZB 4/95

BAG, Beschluss vom 29.2.2000 - 1 ABR 15/99;

BAG 30. Januar 1996 - 3 AZR 1030/94 - AP TVG § 1 Tarifverträge

BAG Beschluss vom 18.2.2003, 1 ABR 2/02

BAG Urteil vom 5.6.2003, 6 AZR 114/02

BAG Urteil vom 28.1.2004, 5 AZR 530/02

BAG Urteil vom 16.3.2004, 9 AZR 93/03